Thomas von Aquin - Anstoß und Anstöße für das evangelische Gedächtnis
Abstract
Für die Bestimmung des Verhältnisses von Thomas von Aquin und Martin Luther hat Otto Hermann Pesch das Begriffspaar „sapiential“ und „existentiell“ vorgeschlagen. Die vorliegende Abhandlung geht einen anderen Weg und unterscheidet eine reformatorische Differenzhermeneutik von einer thomasischen Harmoniehermeneutik: Reformatorisches Denken zeichnet sich durch scharfe Unterscheidungen aus – Gesetz und Evangelium, Glaube und Werke, aber auch Vernunft und Offenbarung. Das so Unterschiedene ist nicht getrennt, sondern in ein komplexes, kritisches Verhältnis zueinander gesetzt. Demgegenüber versucht Thomas von Aquin in der Begründung der Theologie wie auch in der Rechtfertigungslehre Unterschiedenes in ein harmonisches Verhältnis zueinander zu setzen. Während sich so die Konflikte der Reformationszeit gut erklären lassen, ist es bemerkenswert, dass seit der Aufklärung die evangelische Theologie zunehmend aus eigenen Überlegungen zu einer neuen Form von Harmoniehermeneutik gekommen ist. Vor diesem Hintergrund ist auch ein neues, positives Verhältnis evangelischer Theologie zu Thomas möglich.