Bd. 145 Nr. 4 (2023)
Abhandlungen

Die Idee der Offenbarungsreligion in Fichtes Schrift „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“ (1792)

Johannes Brachtendorf
Katholisch-theologische Fakultät Tübingen

Veröffentlicht 2023-11-20

Schlagwörter

  • Religion,
  • Natur,
  • Offenbarung,
  • Moralität,
  • Einbildungskraft,
  • Anthropomorphismus,
  • Gnade
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Abstract

Der vorliegende Beitrag analysiert das Konzept der Offenbarungsreligion in Fichtes Frühschrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) und unterzieht es einer kritischen Beurteilung. Zweck der Religion ist nach Fichte die Stärkung der Moralität des Menschen durch die Vorstellung Gottes als Gebers des Moralgesetzes. Die Offenbarungsreligion stellt diesen göttlichen Gesetzgeber als sinnlich erscheinend vor. In Fichtes Ansatz ist aber nicht klar, wie von der Sinnlichkeit her ein Einfluss auf die Gesinnung des Menschen möglich sein soll. Offenbarung droht ins Leere zu laufen, weil sie keinen Adressaten findet. Ein weiteres Problem liegt darin, dass die Einbildungskraft bei Fichte zwar intelligible Wirklichkeiten wie Gott und die Seele versinnlicht, um sie zum Gegenstand sinnlicher Erfahrung werden zu lassen, dabei aber „Anthropomorphosen“ wie den menschgewordenen Gott oder die Auferstehung des Leibes produziert, die Fichte zufolge objektiv falsch sind und dennoch pädagogisch nützlich sein sollen. Ein abschließender Vergleich mit Kants Religionsschrift zeigt gegen die Deutung von Dieter Henrich, dass Fichte von Grundlehren der christlichen Dogmatik über das Böse sowie über Freiheit und Gnade weiter entfernt ist als Kant.