Bd. 145 Nr. 4 (2023)
Abhandlungen

Kirchliche Lehre und natürliche Vernunft in Sachen Sex

Anselm Winfried Müller
University of Chicago

Veröffentlicht 2023-11-20

Schlagwörter

  • Synodaler Weg,
  • Naturrecht,
  • Lehramt,
  • Gewissen,
  • homosexuelle Paare,
  • Keuschheit,
  • Wertewandel
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Abstract

Anlass zu den folgenden Überlegungen gibt das Ja zur kirchlichen Segnung homosexueller Paare vonseiten der Synodalversammlung der katholischen Kirche in Deutschland sowie die damit zusammenhängende Diskussion um eine Revision der katholischen Sexualethik. Welche Rolle sollten a) epistemologische und moralphilosophische Gesichtspunkte, b) die Autorität der Glaubenslehre und c) das Gewissen spielen, wenn katholische Amtsträger, Theolog*innen und andere Gläubige sich veranlasst sehen, Fragen der Sexualmoral neu zu bedenken? Unter diesen Gesichtspunkten weist die Argumentation zugunsten von Formen nicht-ehelicher sexueller Praxis ernste Schwächen auf: Inkonsistenzen und Mängel im Umgang mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift und dem Lehramt, aber auch mit Themen wie Wertewandel, gottgewollte Veranlagung, „selbstbestimmte Verantwortung“, Liebe und Diskriminierung. Andererseits dürften Argumente gegen jede kirchliche Billigung homosexueller Praxis sowohl die ethischen Implikationen der menschlichen Natur als auch die Verlässlichkeit des Gewissens überschätzen. Nachdem ich zum Ergebnis komme, dass Zugehörigkeit zur katholischen Kirche gleichwohl die bischöflich sanktionierte öffentliche Segnung homosexueller Paare ausschließt, weise ich abschließend auf Faktoren hin, die meines Erachtens derzeit eine vernünftige Beurteilung dieser These erschweren.